Kategorie Urteil Sozialrecht

LSG: Bürgergeldempfängerin muss nicht besser rechnen können als das Jobcenter

Darf ein Jobcenter, das sich bei der Einkommensanrechnung zugunsten des Empfängers verrechnet hat, die überzahlten Leistungen zurückfordern? Ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg beantwortet diese Frage.

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Der Fall, über den das LSG zu entscheiden hatte, betraf eine 3-köpfige Familie, die seit Juli 2020 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und seit 2023 Bürgergeld vom Jobcenter bezieht. Der Familienvater trat im Februar 2021 eine Stelle als Verkäufer in einem Lebensmittelladen an und sollte laut Arbeitsvertrag dafür monatlich 1.600 Euro netto erhalten. 

Netto und brutto verwechselt

Den Arbeitsvertrag reichte der Mann beim Jobcenter ein. Das setzte daraufhin die Höhe der bewilligten Leistungen herab und berücksichtigte ein monatliches Bruttogehalt von 1.600 Euro (1.276,40 Euro netto). Die gesetzlich vorgesehenen Freibeträge waren dabei berücksichtigt worden. 

Aus der Lohnbescheinigung des Mannes ergab sich jedoch ein Bruttoeinkommen von 2.001,75 Euro (1.600 Euro netto). Das Jobcenter bemerkte seinen Fehler und forderte die für 10 Monate überzahlten Leistungen in Höhe von mehr als 3.000 Euro von der Familie zurück. Deren Klage gegen die Rückforderung scheiterte zunächst vor dem Sozialgericht Berlin.

Bei komplizierten Berechnungen, zum Beispiel in Bescheiden zur Grundsicherung, könne von einem juristischen Laien verlangt werden, dass er die Berechnung durchlese und eventuelle Fehler bei den eingestellten Daten beachte, entsprechend seiner persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit sowie seines subjektiven Einsichtsvermögens.

Rechtlicher Hintergrund

Maßgebliche Vorschrift in solchen oder ähnlichen Verfahren sind § 45 Absatz 2 Satz 1 sowie Satz 3 Nr. 3 Sozialgesetzbuch X. Danach darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, wenn der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, sofern er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannte. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Betroffene die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

LSG stoppt Rückforderung

Die Mutter der Familie, die den Kontakt mit den Behörden wahrnehme, habe den Bescheid gelesen, grob geprüft und dort auch den Betrag von 1.600 Euro entdeckt. Sie habe vor dem Gericht glaubhaft angegeben, die Begriffe brutto und netto nicht sicher auseinanderhalten zu können. Daher habe ihr der Fehler nicht auffallen müssen und sie habe auf die Richtigkeit des Bescheides vertrauen dürfen. Dies schließe eine rückwirkende Korrektur zum Nachteil der Familie aus.

Das Urteil demonstriert aber: Hätte eine andere Person den Bescheid geprüft, hätte die Entscheidung des LSG aufgrund der persönlichen Urteilsfähigkeit und Erkenntnismöglichkeit des Prüfenden anders ausfallen können. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Jobcenter kann beim Bundessozialgericht die Zulassung der Revision beantragen.

Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 3. April 2025, Az.: L 3 AS 772/23