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Urteil zur Pflege: Wer zu viel arbeitet, verliert bei der Rente

Urteil zur Pflege: Wer zu viel arbeitet, verliert bei der Rente

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat ein für viele pflegende Angehörige wegweisendes Urteil aufgestellt. Wer mehr als 30 Stunden pro Woche erwerbstätig ist, selbst wenn er krankheitsbedingt gar nicht arbeitet, verschiebt die Anerkennung seiner Pflegezeit in der Rentenversicherung. Die Folge: Keine Rentenpunkte trotz intensiver Pflege. Und Betroffene könnten weitaus stärker betroffen sein als bislang gedacht. Wer sich nicht mit den Details befasst, riskiert finanzielle Einbußen im Alter.

Sie stehen früh auf, versorgen Ihren pflegebedürftigen Angehörigen, koordinieren Arzttermine und jonglieren gleichzeitig Ihren Teilzeitjob. Kommt Ihnen das bekannt vor? Dann betrifft Sie dieses Urteil direkt. Denn es zeigt: Formal vereinbarte Arbeitszeiten können im Zweifel verhindern, dass Ihre Pflegezeit später rentenrechtlich anerkannt wird, selbst wenn Sie tatsächlich gar keine Arbeitsleistung erbracht haben.

Der Fall: Pflege gegen Krankengeld

Im konkreten Fall ging es um einen Vater (Jahrgang 1962), dessen Sohn Pflegegrad 2 hatte. Er pflegte ihn ungefähr 28 Stunden pro Woche zu Hause, ehrenamtlich und ohne Bezahlung. Gleichzeitig war er aber formal in einem 30 Stunden pro Woche beschäftigten Arbeitsverhältnis und bezog ab April 2022 fast 17 Monate Krankengeld auf Basis dieser Arbeitszeit.

Die Pflegekasse meldete die Pflegezeit nicht an die Rentenversicherung, mit der Begründung, er sei formal über der 30-Stunden-Grenze beschäftigt. Der Vater klagte, verlor aber sowohl vor dem Sozialgericht als auch vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG).

Das Urteil ist damit ein Beispiel dafür, wie schnell administrative Rahmenbedingungen die persönliche Realität überlagern können.

Was sagt das Gericht?

Das LSG urteilte klar: Wer auf Basis eines Arbeitsvertrags von über 30 Wochenstunden Krankengeld bezieht, gilt weiterhin als erwerbstätig versichert – auch dann, wenn keine tatsächliche Arbeitsleistung erfolgt. Grundlage dieser Bewertung ist § 3 Satz 4 der Pflegeversicherungs-Nachweisverordnung (PflegeVersNachwV), die die wöchentliche Arbeitszeitgrenze für die rentenrechtliche Anerkennung von Pflege bestimmt. Damit wird der Status des pflegenden Angehörigen nicht automatisch anerkannt. Das Ziel: eine Überprivilegierung pflegender Erwerbstätiger vermeiden.

Interessant ist: Auch bei eindeutig belegbarer Pflegeleistung und fehlender Erwerbsfähigkeit aufgrund von Krankheit wird die gesetzliche Definition streng ausgelegt.

Warum das Urteil weitreichend ist

Das Urteil hat weitreichende Konsequenzen – insbesondere für Menschen, die Pflege mit einer formal geregelten Erwerbstätigkeit kombinieren. Betroffen sind dabei nicht nur Einzelfälle, sondern ganze Personengruppen mit strukturell eingeschränkter Flexibilität.

Besonders betroffen sind:

  • Pflegende mit gesundheitlichen Einschränkungen, die selbst körperlich oder psychisch stark belastet sind.
  • Alleinerziehende, deren Teilzeitverträge oft starre Wochenarbeitszeiten festlegen.
  • Personen in akuten Krisensituationen, etwa bei plötzlicher Pflegebedürftigkeit eines Angehörigen.
  • Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst oder mit Tarifbindung, bei denen Stundenreduktionen kaum spontan möglich sind.
  • Pflegende ohne externe Hilfe, die rund um die Uhr betreuen und ihre Pflegeleistung dennoch nicht angerechnet bekommen.

Diese Gruppen können ihre Arbeitszeit meist nicht flexibel unter die gesetzliche Grenze von 30 Stunden pro Woche senken – selbst wenn sie faktisch keine Erwerbsarbeit leisten. Das Urteil ignoriert diese Lebensrealitäten und führt dazu, dass viele Pflegeleistungen nicht rentenwirksam berücksichtigt werden.

Besonders dramatisch wirkt sich das aus, wenn Betroffene aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten können – etwa im Krankengeldbezug, in der Reha oder im Mutterschutz. Auch in diesen Fällen wird die Pflegezeit nicht automatisch anerkannt. Damit entsteht eine Lücke im Rentensystem zulasten jener, die sich tagtäglich für andere aufopfern.

Wie viel geht verloren?

Pflegende Angehörige, die mindestens drei Monate lang wöchentlich mindestens 28 Stunden pflegen, erhalten von der Pflegekasse Rentenbeiträge gutgeschrieben. Je nach Pflegegrad und Pflegeaufwand ergibt sich daraus ein monatlicher Rentenanspruch zwischen etwa 6 und 35 Euro. Dieser Betrag summiert sich mit jedem Jahr der Pflegetätigkeit und erhöht die spätere Rente. Dennoch kann die eigene Altersvorsorge leiden, da die Rentenbeiträge aus der Pflegetätigkeit in der Regel niedriger sind als die Beiträge aus einer regulären Erwerbstätigkeit.

Noch gravierender wirkt sich eine längere Pflegezeit ohne Rentenanrechnung aus: Wer beispielsweise über fünf Jahre keine Rentenpunkte für die Pflegetätigkeit erhält, verliert im Rentenbezug insgesamt mehr als 1.500 Euro pro Jahr. Das ist ein erheblicher Unterschied, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen.

Hinweis: Die genaue Höhe hängt vom individuellen Pflegeaufwand und Pflegegrad ab. Bei maximal möglicher Anrechnung kann der Verlust sogar höher ausfallen.

Ihre Möglichkeiten und Handlungstipps

  • Arbeitsvertrag prüfen: Wenn Sie formal über 30 Stunden arbeiten, sollten Sie prüfen, ob eine Vertragsänderung – z. B. auf 29 Stunden – möglich ist.
  • Rentenmeldung anstoßen: Achten Sie darauf, dass unterstützende Pflegezeiten auch tatsächlich an die Rentenversicherung gemeldet werden.
  • Krankengeld-spezifisch vorsorgen: Wer wegen Krankheit pflegt, sollte das Thema frühzeitig mit der Pflegekasse klären.
  • Rechtsberatung nutzen: Bei Unklarheiten kann ein Fachanwalt für Sozialrecht oder ein Pflegeberater helfen, eventuell auch rückwirkend Ansprüche geltend zu machen.
  • Vertraglich flexibel bleiben: Wenn Sie pflegen müssen, lohnt es sich häufig, die Beschäftigung vorübergehend auf unter 30 Stunden pro Woche zu reduzieren.
  • Rentenrechner nutzen: Mit Online-Portalen oder direkt bei Externer Link:der Deutschen Rentenversicherung können Sie den möglichen Verlust durch fehlende Rentenpunkte berechnen.
  • Mit Arbeitgeber kommunizieren: Sprechen Sie offen über Ihre Pflegeverantwortung. Oft gibt es individuelle Möglichkeiten, Ihre Situation arbeitsrechtlich zu gestalten.
  • Pflegestützpunkte kontaktieren: Diese regionalen Anlaufstellen beraten kostenlos zu Ansprüchen und helfen beim Ausfüllen der Formulare. Eine Auflistung von Beratungsstellen bundesweit finden Sie bei der Externer Link:Stiftung ZQP.

Warum das Urteil Sie zum Handeln auffordert

Dieses Urteil zeigt eindrücklich: Formalitäten entscheiden, ob Ihre Pflegezeit später in Rentenpunkten und Altersabsicherung mündet oder verloren bleibt.

  • Nutzen Sie die Urteilsgründe als Anstoß: Prüfen Sie Ihren Arbeitsvertrag, Ihre tatsächlichen Stunden und Ihre Meldesituation.
  • Nutzen Sie Ihren Spielraum, wenn möglich: Reduzieren Sie temporär Ihre vertraglich vereinbarten Stunden, damit Sie unter der 30-Stunden-Grenze verbleiben.
  • Fragen Sie Experten: Pflegeberater, Sozialrechtler oder Rentenberater können helfen, Ihre Situation zu klären und zu optimieren.

Setzen Sie sich mit Ihrer Pflegekasse in Verbindung – lassen Sie prüfen, ob Ihre Pflegezeit rentenrechtlich gemeldet wurde. Nutzen Sie dazu das Formular „Meldung von Pflegezeiten“ der Pflegeversicherung oder wenden Sie sich an die Deutsche Rentenversicherung, die hierzu auch telefonische Beratung anbietet. Wenn nicht, erfragen Sie eine Nachmeldung und prüfen Sie zugleich Ihre Arbeitszeitregelung mit Arbeitgeber oder Berater.

Behalten Sie Ihr Ziel im Blick: Eine faire Anerkennung Ihrer Pflegeleistung. Nur informierte Bürger können ihre Rechte nutzen und sich gegen Benachteiligung wehren.

Externer Link:https://www.pflegeportal.org/blog/recht-und-gesetze/urteil-zur-pflege-wer-zu-viel-arbeitet-verliert-bei-der-rente-1548/#:~:text=Wer%20mehr%20als%2030%20Stunden,betroffen%20sein%20als%20bislang%20gedacht.

Abgerufen am 24.08.2025