Pflegegrad 1 abschaffen? Der VdK spricht sich dagegen aus
Die Bundesregierung denkt offenbar darüber nach, den Pflegegrad 1 zu streichen. Dies würde mehr als 860.000 Menschen hart treffen. Der Sozialverband VdK erklärt, warum das keine gute Idee ist.

Nach dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz (PSG II) werden seit 2017 Menschen mit geringen Beeinträchtigungen in den Pflegegrad 1 eingestuft. Angesichts der Finanzierungslücke in der gesetzlichen Pflegeversicherung - für 2026 soll das Defizit zwei Milliarden Euro betragen - prüft die Bundesregierung nach Medienberichten als eine Möglichkeit, bei der Pflege zu sparen, den Pflegegrad 1 abzuschaffen. Laut Berechnungen des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung RWI würden die Einsparungen durch die Streichung der Leistungen für die Betroffenen etwa 1,8 Milliarden Euro betragen.
Was Pflegegrad 1 bedeutet
Die Pflegebedürftigkeit wird auf Antrag bei der Pflegeversicherung durch den Medizinischen Dienst (MDkurz fürMedizinischer Dienst) ermittelt und in Pflegegraden von 1 bis 5 bemessen. Pflegegrad 1 ist der niedrigste Pflegegrad, betrifft also Menschen mit relativ geringen Einschränkungen.
Menschen mit Pflegegrad 1 haben keinen Anspruch auf Pflegegeld oder Pflegesachleistungen.
Ihnen stehen jedoch die folgenden Leistungen zu:
- Zuschuss von bis zu 4.180 Euro für wohnumfeldverbessernde Maßnahmen, beispielsweise für den Einbau einer barrierefreien Dusche oder eines Treppenlifts.
- Der sogenannte Entlastungsbetrag in Höhe von 131 Euro pro Monat. Über diesen können folgende Leistungen in Anspruch genommen werden:
- Tages- oder Nachtpflege
- Ambulante Pflege und Betreuung
- Kurzzeitpflege
- Angebote zur Unterstützung im Alltag nach Landesrecht (z.B. Haushaltshilfe, Betreuung)
- 42 Euro pro Monat für zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel
- 25,50 Euro monatlich für einen Hausnotruf
Warum der Pflegegrad 1 so wichtig ist
Mit der Einstufung in den Pflegegrad 1 soll durch niedrigschwellige Leistungen hauptsächlich die Selbstständigkeit der Betroffenen erhalten werden. Ziel ist es, diesen Pflegebedürftigen zu ermöglichen, möglichst lange in den eigenen vier Wänden zu wohnen, statt in ein Pflegeheim umziehen zu müssen.
Außerdem entlasten die Leistungen im Pflegegrad 1 auch die pflegenden Angehörigen: Rund 85 Prozent der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland sowie in Hessen und Thüringen werden zu Hause versorgt. Wichtig zu wissen: Mit Pflegegrad 1 können Pflegebedürftige und ihre Familien Beratungsangebote und Pflegekurse wahrnehmen.
Mehr Informationen zu den Leistungen für Pflegebedürftige finden Sie in unserem kostenlosen Externer Link:Ratgeber Nächstenpflege (PDF, 1.59 MB, Datei ist barrierefrei ⁄ barrierearm).
Viele Betroffene nehmen Ansprüche nicht wahr
Ein wichtiges Argument in der derzeitigen Diskussion um den Pflegegrad 1 ist das Einsparpotenzial durch dessen Streichung. Doch das scheint deutlich unter den genannten 1,8 Milliarden Euro zu liegen. Auf Anfrage des “Spiegel” teilte das RWI mit, seiner Berechnung läge die Annahme zugrunde, dass alle in den Pflegegrad 1 Eingestuften den Entlastungsbetrag von 131 Euro und für Pflegehilfsmittel 42 Euro monatlich in Anspruch nehmen würden. “Bei diesen modellhaften Berechnungen wurde nicht beachtet, dass nicht alle Personen mit Pflegegrad 1 auch tatsächlich Leistungen in Anspruch nehmen”, zitiert das Magazin zudem einen Sprecher des GKVkurz fürGesetzliche Krankenversicherung-Spitzenverbands. Der nennt die Zahl von 1,8 Milliarden Euro demnach einen “theoretischen Wert”.
Der GKVkurz fürGesetzliche Krankenversicherung-Spitzenverband habe bestätigt, heißt es in dem Bericht, dass sich die Ausgaben für den Pflegegrad 1 in der Pflegeversicherung 2024 auf rund 640 Millionen Euro beliefen.
VdK lehnt den Vorschlag entschieden ab
Der VdK lehnt Ideen für eine Abschaffung des Pflegegrads 1 klar ab. VdK-Präsidentin Verena Bentele kommentierte den Sparvorschlag: “Die Vorschläge zeugen von extremer Strenge gegenüber den Schwachen und Schwächsten unserer Gesellschaft und Ignoranz gegenüber den Realitäten in unserem Lande. Die Streichung der Pflegestufe 1 wird vielen Seniorinnen und Senioren die dringend benötigte Alltagshilfen nehmen, mit deren Unterstützung sie ihren Lebensabend in den eigenen vier Wänden verbringen können.”
Zwar ist die Zahl der Pflegebedürftigen in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Das hat aber auch den Grund, dass durch die 2017 eingeführten neuen Regelungen zur Pflegebedürftigkeit diese über die Pflegegrade besser erfasst wird. Dass dadurch mehr Betroffene Leistungen beanspruchen können, ist für den Sozialverband VdK ein Fortschritt.
Pflegebedürftigkeit früh erkennen und gegensteuern
Weil Pflegebedürftigkeit früher erfasst wird, können Pflegebedürftige rechtzeitig besser versorgt werden. Denn in den niedrigen Pflegegraden rücken Prävention und Rehabilitation in den Fokus, schwere Pflegebedürftigkeit kann hinausgezögern oder ganz verhindert werden.
Dass dadurch viele Pflegebedürftige länger selbstständig zu Hause leben können, ist aus Sicht des VdK eine positive Entwicklung. Unter anderem werden so deutlich höhere Kosten für die stationäre Versorgung im Pflegeheim vermieden oder hinausgezögert.
Selbstständigkeit erhalten
Die im Pflegegrad 1 bezuschussten Umbaumaßnahmen für ein barrierefreies Wohnumfeld verhindern den drohenden Verlust der Selbstständigkeit – und beispielsweise auch Unfälle oder Stürze in den eigenen vier Wänden, die zu einer schweren Pflegebedürftigkeit führen können.
Der VdK sieht andere Möglichkeiten, die Pflegekasse finanziell zu entlasten: 5,2 Milliarden Euro aus der Pflegeversicherung wurden während der Corona-Pandemie für andere Zwecke eingesetzt. Eine Rückzahlung durch die Bundesregierung steht bislang aus. Der VdK wird zu dieser zweckwidrigen Verwendung von Pflegegeldern Musterklagen führen.