Kategorie Ortsverband Grebenhain

Neujahrsfrühstück

Dr. Hermann Sauer bei seinem Vortrag
Dr. Hermann Sauer bei seinem Vortrag © Carsten Eigner

Insgesamt 34 Jahre lang hat Dr. Hermann Sauer als Hausarzt in Schlitz gearbeitet. Damit gehört er einer aussterbenden Gattung an, denn es gibt heute immer weniger angehende junge Ärztinnen und Ärzte, die sich bereitfinden, in einer klassischen Haus- oder Landarztpraxis zu arbeiten. Eine Entwicklung, die Dr. Sauer bedauert. Denn als Hausarzt war der heute 75-jährige stets nah am Menschen und begleitete "seine" Patientinnen und Patienten quasi über Generationen hinweg. Seine Erlebnisse haben ihn bewogen, über das alles auch ein Buch zu schreiben – drei Bücher sind es nun insgesamt geworden. Und nicht weniger als 38 Lesungen, auf denen er seine Bücher der Öffentlichkeit vorgestellt hat. "Ich war überrascht über dieses große Interesse", erklärte Dr. Sauer eingangs seiner ersten diesjährigen Lesung, die am vergangenen Sonntag in der "Vulkanhalle" in Nieder-Moos stattfand.

Dort hatte der VdK-Ortsverband Grebenhain zu seinem alljährlichen Neujahrsfrühstück geladen. Die mehr als 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren im Anschluss an das reichhaltige Buffet gespannt über das, was der nunmehr im Ruhestand befindliche Haus- und Landarzt aus Schlitz aus seinem Berufsleben zu erzählen wusste. "Diese Patientin hat vor allem einen guten Hausarzt", dieser Ausspruch eines Professors während seiner Studentenzeit ist Dr. Sauer bis heute im Gedächtnis geblieben, die damals in ihm den Wunsch weckte: „So einer will ich auch mal werden“. Dass ein Hausarzt sich eigentlich nur um leichte Erkältungen und Grippe kümmere, sei eine verbreitete irrige Vorstellung. "Hausarzt ist alles, zwischen Kopflaus und Fußpilz", erklärte Dr. Sauer. Doch seine Lesung beinhaltete nicht nur humorvolle Anekdoten, sondern auch Ernstes und Nachdenkliches. Seine Bücher legt er auch heutigen Medizinstudierenden und angehenden Ärztinnen und Ärzten ans Herz und möchte ihnen die "händchenhaltende Medizin" des Hausarztberufes nahebringen.

Themen, die Dr. Sauer in seinen Büchern immer wieder umtreiben, sind ein selbstbestimmtes Leben bis zum Lebensende und menschenwürdiges Sterben. Damit ist er schon früh in Berührung gekommen. Dr. Sauer stammt aus Geisenheim in Rheinhessen, wo sein Vater als Pfarrer wirkte und ihn im Alter von sechs Jahren einmal zu einer Aussegnung mitnahm. "Es war für mich eine frühe Sozialisation mit dem Thema Tod", so Dr. Sauer, der dann einen Perspektivwechsel vornahm. Als junger Hausarzt im Schlitzerland erlebte er es, wie noch in den 1980er Jahren bei den Hausschlachtungen die geschlachteten Schweine zum Ausbluten draußen aufgehängt wurden. So sei auch für die Kinder der Tod von Tieren damals noch sichtbar gewesen.

Anhand mehrerer Auszüge aus seinen drei Büchern machte Dr. Sauer zudem deutlich, welche Lasten pflegende Angehörige zu tragen haben. "Wer pflegt, leistet Schwerstarbeit!", betonte Dr. Sauer. Als Hausarzt habe er auch immer wieder mit Alleinstehenden zu tun gehabt, die sich nach einem Sturz geniert hätten, den Notrufknopf zu tätigen. "Um diese Uhrzeit kann ich doch die Leute nicht belästigen", brachte er ein Zitat. Viele aus der Kriegsgeneration hätten so gedacht. "Dieser Generation verdanken wir es, dass wir sind, was wir sind", so Dr. Sauer.

Keinen Hehl machte er daraus, sich für eine humanitäre Sterbehilfe und die Selbstbestimmung über den eigenen Tod auszusprechen. "Im Sterben sind wir alle Meister... und Lehrjungen zugleich", hat Dr. Sauer ein Kapitel in seinem dritten Buch, das im vergangenen Jahr erschien, überschrieben. Niemand dürfe zum Weiterleben gezwungen werden, der aus freiem Willen sterben wolle. "Wer wie ich die Nähe zu Sterbenden gehabt hätte, würde sich anders entscheiden", kritisierte er die aktuelle Rechtsprechung und machte einen Vergleich auf. Wenn etwa ein todkranker Hund das Futter verweigere, dürfe er vom Tierarzt friedlich und schmerzfrei eingeschläfert werden. "Warum gehen wir mit unseren Tieren menschlicher um als mit uns selbst?", fragte Dr. Sauer.

Doch der frühere Hausarzt ließ das Publikum auch an weniger ernsten Episoden aus seinem Berufsalltag teilhaben. "Menschen, die nicht lachen können, sind zum Weinen", zitierte er den früheren Bundespräsidenten Johannes Rau. Und einen seiner Patienten, der zu ihm sagte: "Sie sind doch so lieb. Warum heißen Sie eigentlich Dr. Sauer?" Im Anschluss an den geradezu fesselnden Vortrag machten viele der Zuhörerinnen und Zuhörer von der Möglichkeit Gebrauch, eines oder gar alle drei Bücher zusammen vor Ort zu erwerben und signieren zu lassen. Und wie groß das Interesse war, zeigte sich daran, dass Dr. Sauer keines seiner Werke wieder mit nach Hause nehmen musste – im Nu war alles ausverkauft.